Der Start einer neuen Ära für Europas Heilbäder
60 Years of Stories: 1995 wurde die European Spas Association in Brüssel gegründet – ein Meilenstein, der die europäische Heilbäder- und Kurtradition grundlegend veränderte.

© Csilla Mezősi
Erstmals vereinte eine Organisation die vielfältigen Thermal- und Gesundheitsdestinationen Europas unter einem Dach. Die ESPA schuf gemeinsame Qualitätsstandards, stärkte die Sichtbarkeit der Branche und ebnete den Weg für eine moderne, international vernetzte Gesundheits- und Tourismuslandschaft. Csilla Mezősi, Generalsekretärin der European Spas Association, erklärt im Interview, wie dieser Schritt Standards schuf, Innovation förderte, wie Health Tourism heute definiert werden muss und welche Trends – von Prävention bis Longevity – die Zukunft bestimmen.
1995 wurde die European Spas Association als Dachorganisation der Spa-Branche gegründet, die 20 EU-Länder vertritt. Was machte diesen Schritt damals so bedeutend für die Branche?
Die Gründung der ESPA im Jahr 1995 war ein entscheidender Meilenstein, weil erstmals die traditionsreiche, aber stark fragmentierte europäische Heilbäder- und Kurtradition unter einem gemeinsamen Dach zusammengeführt wurde. In einer Zeit, in der die EU ihre Binnenmarktstrukturen vertiefte, ermöglichte die ESPA der Branche, mit einer Stimme zu sprechen, gemeinsame Qualitätsstandards zu entwickeln und ihre Interessen auf europäischer Ebene zu vertreten. Damit wurde die Grundlage gelegt, Heilbäder nicht nur als lokale oder nationale Kurorte, sondern als integralen Bestandteil der europäischen Gesundheits- und Tourismuslandschaft zu positionieren.
Wie hat die ESPA seit ihrer Gründung die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Standards im Spa- und Wellness-Tourismus geprägt?
Die ESPA hat maßgeblich dazu beigetragen, Wissen und Best Practices zwischen den Mitgliedsländern auszutauschen. Durch gemeinsame Forschungsprojekte, europäische Konferenzen und Initiativen wie die ESPA Innovation Awards wurde eine Kultur des Benchmarkings etabliert. Darüber hinaus hat die ESPA Qualitätsstandards für Thermal- und Gesundheitsdestinationen entwickelt – aktuell werden diese Standards erneut überarbeitet –, die mittlerweile als Orientierung für Investoren, Betreiber und Gäste gelten.
Um die internationale Sichtbarkeit der Branche zusätzlich zu stärken, hat die ITB Berlin das Medical & Health Tourism Segment sowie Auszeichnungen für die beste Gesundheitsdestination ins Leben gerufen, wo wir auch aktiv mitgestalten. Diese Initiativen tragen dazu bei, europäischen Gesundheitsdestinationen weltweit Anerkennung zu verschaffen. Diese Arbeit hat nicht nur Vertrauen bei Verbrauchern geschaffen, sondern auch Innovation und Nachhaltigkeit in der Branche gefördert.
Wie würden Sie „Health Tourism“ definieren und was unterscheidet Health Tourism klar von Medical Tourism einerseits und Wellness Tourism andererseits?
Health Tourism (Gesundheitstourismus) ist der übergeordnete Begriff für alle gesundheitsorientierten Angebote, die der Erhaltung, Förderung oder Wiederherstellung der Gesundheit dienen. Dazu gehören Thermal- und Mineralbäder, Kurprogramme, Bewegungstherapien, Ernährungsberatung und Stressreduktion. Das Besondere am Health Tourism mit natürlichen Heilmitteln vor Ort ist seine klare Basis in natürlichen Heilressourcen – Heilwasser, Heilklima, Mineralwasser, Heilschlamm, Moor, Mofetten und anderen ortsgebundenen Heilfaktoren. Diese natürlichen Ressourcen sind standortspezifisch und nicht verlegbar; daher erfordern sie eine Reise zum jeweiligen Gesundheitsstandort. Die Anwendungen sind medizinisch begleitet, nicht invasiv und verbinden wissenschaftliche Evidenz mit nachweisbarer präventiver Wirkung.
Medical Tourism umfasst dagegen medizinisch notwendige Behandlungen wie Operationen oder spezialisierte medizinische Eingriffe, während Wellness Tourism eher lifestyle-orientiert ist und sich auf Entspannung, Spa-Angebote, Fitness, Achtsamkeit und allgemeines Wohlbefinden konzentriert.

Der Start einer neuen Ära für Europas Heilbäder © Unsplash/ Cloris Ying
Das Buzzword und Trendthema „Longevity“ taucht häufig in Diskussionen über Wellness- und Gesundheitstourismus auf. Was bedeutet es in der Praxis für die Branche?
„Longevity“ steht für die wissenschaftlich fundierte Verlängerung gesunder Lebensjahre. Für die Spa- und Gesundheitsbranche bedeutet das eine stärkere Ausrichtung auf Prävention, personalisierte Programme und ganzheitliche Lebensstilinterventionen. Thermal- und Kurorte sind prädestiniert dafür, weil sie traditionell auf Prävention, Regeneration und nachhaltige Lebensweise setzen. Neu ist die Verbindung aus moderner Diagnostik, digitalen Gesundheitslösungen und evidenzbasierten Therapien mit den effektiven natürlichen Heilquellen unserer Mitglieder – für eine individuell abgestimmte Begleitung der Gäste hin zu mehr Gesundheit und Lebensqualität.
Wird das Thema Longevity auch die Tourismusbranche umkrempeln? Wie integrieren Spas, Kliniken und Resorts Konzepte rund um Longevity in ihre Angebote?
Ja, Longevity wird die Tourismusbranche tiefgreifend verändern und den Bedarf an medizinischer Expertise deutlich erhöhen. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich weg von klassischen Wellnessangeboten hin zu wissenschaftlich fundierten Konzepten, die aktiv zu einem gesünderen Älterwerden beitragen. Spas, Kliniken und Gesundheitsresorts integrieren deshalb zunehmend personalisierte Programme, die Bewegung, Ernährung, Schlaf, mentale Stärke und medizinische Diagnostik verbinden. Moderne Methoden wie Mikronährstoffanalysen, Biomarker-Diagnostik, Biotechnologie oder Stress- und DNA-Tests werden Teil umfassender Longevity-Strategien. Zugleich wächst die Nachfrage nach längeren, stärker strukturierten Aufenthalten, da nachhaltige Ergebnisse nur durch kontinuierliche Begleitung entstehen. Auf diese Weise wandeln sich viele Einrichtungen zu Orten, an denen präventive Medizin, Lifestyle-Interventionen und regenerativer Aufenthalt nahtlos ineinandergreifen.
Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie für den europäischen Spa- und Gesundheitstourismus ganz allgemein in den nächsten zehn Jahren?
In den nächsten zehn Jahren wird der europäische Gesundheitstourismus von einer steigenden Sensibilisierung für Prävention, gesundheitsbewusste Lebensführung und evidenzbasierte Gesundheitsangebote profitieren. Die besondere Stärke Europas – die Kombination aus natürlichen Heilressourcen und einer langen medizinischen Tradition – ermöglicht es vielen Destinationen, sich zu innovativen Gesundheitszentren weiterzuentwickeln. Gleichzeitig eröffnet die fortschreitende Digitalisierung neue Möglichkeiten: von personalisierten Gesundheitsprogrammen über Telemonitoring bis hin zu digitalen Therapiebegleitern, die die Verbindung zwischen Gästen und Destinationen über den Aufenthalt hinaus festigen.
Herausfordernd bleiben jedoch die Anpassung an klimatische und wirtschaftliche Veränderungen, der zunehmende Fachkräftemangel sowie der Druck, Nachhaltigkeit in allen Bereichen konsequent umzusetzen. Energieeffizienz, Mobilitätskonzepte und ein schonender Umgang mit Ressourcen werden zu entscheidenden Faktoren, die europäische Programme und Förderinstrumente künftig stärker unterstützen sollten.
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