Meilenstein Deutsche Einheit: Als sich für Ostdeutsche die Welt öffnete
60 Years of Stories: Die ITB Berlin blickt zurück auf die deutsche Wiedervereinigung – einen Meilenstein, der den Tourismus nachhaltig geprägt und die europäische Verbundenheit gestärkt hat.
Am 3. Oktober 1990 feierten die Menschen in Ost- und Westdeutschland gemeinsam die Wiedervereinigung. Ein historischer Wendepunkt, der Politik, Gesellschaft und das Reisen veränderte. Plötzlich öffneten sich Grenzen, ein Land voller Geschichte, Kultur und beeindruckender Landschaften wurde zugänglich. Für viele begann damit ein neues Kapitel voller Freiheit, Entdeckerlust und internationaler Begegnungen.
Andrea Beu, ehemalige Flugbegleiterin bei der Interflug – der staatlichen Fluggesellschaft der DDR, deren Reise 1991 zu Ende ging – erinnert sich an das Fliegen in Zeiten von staatlicher Kontrolle und an den historischen Moment, als sich für die Menschen in der DDR die Welt öffnete.
Wie kamen Sie zur Interflug und was hat Sie an dem Beruf fasziniert?
Ich habe mich schon immer für ferne, fremde Länder und Reisen interessiert und wollte daher auch gern in einem Beruf arbeiten, der damit zu tun hat. Das Reisen in ferne Länder war ja in der DDR bekanntermaßen nur sehr eingeschränkt möglich. So kam ich dann auf die Idee, mich bei der Interflug zu bewerben. Zuerst habe ich mich dort für die Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau beworben, später dann für die „Zusatzausbildung Kabinenpersonal“, also als Stewardess.
Welche Voraussetzungen musste man erfüllen, um Flugbegleiterin bei der Interflug werden zu dürfen?
Neben den üblichen körperlichen Voraussetzungen wie Größe, Gewicht und Gesundheitszustand spielte vor allem die politische Zuverlässigkeit eine große Rolle. Westverwandschaft oder Kontakte © Andrea Beu in den Westen waren problematisch, da wir als „Geheimnisträger“ galten. Die Ausbildung war zweistufig: Zunächst eine zweijährige Berufsausbildung an der Interflug-Berufsschule zur Wirtschaftskauffrau mit Spezialisierung auf Verkehrswesen. Erst danach konnte man sich für die neunmonatige Zusatzausbildung zur Stewardess bewerben. Im Auswahlverfahren musste ein politischer und ein Gesundheitscheck sowie eine Prüfung, bestehend aus Tests in Russisch, Englisch, Geografie und aktuell-politischem Wissen, absolviert werden.
Wie präsent war die Staatssicherheit in Ihrem Berufsleben?
Ziemlich präsent. Auf einigen kurzen Strecken – etwa nach Warschau, Prag oder Budapest – waren immer zwei Stasi-Mitarbeiter an Bord, die sich unauffällig unter die Passagiere mischten. Wir nannten sie auch „die Sicherheitsnadeln“. Offiziell sollten sie für die Sicherheit an Bord sorgen, bekanntermaßen ging es auch darum, mögliche Flugzeugentführungen Richtung Westen zu verhindern, und sicher auch darum, die Besatzung zu belauschen.
Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders im Gedächtnis geblieben?
Ich war etwa sechs Jahre Stewardess bei der Interflug – da gibt es einiges. Der gute Zusammenhalt unter den Kolleginnen, der locker-freundliche Umgang auch mit den Piloten. Die körperlich sehr anstrengende Arbeit. Die unglaublich laute IL-18, dieser markante Maschinen-Geruch und wie unterschiedlich die Flughäfen rochen: Moskau roch völlig anders als Budapest. Unvergesslich auch meine Äquatortaufe auf dem Weg nach Brazzaville. Ein großer Einschnitt war die Einführung der drei Airbusse – das war ein Quantensprung in Sachen Komfort. Und natürlich der letzte Airbus-Flug der Interflug im Frühjahr 1991 nach Larnaca, als das Ende der Interflug sehr nah war.
Wie haben Sie die Wende 1989/90 erlebt – beruflich und privat?
Beruflich einerseits sehr positiv, aufregend, großartig – eine neue Welt tat sich auf, wir durften alle in den Westen fliegen, nicht nur die „NSW-Kolleginnen“, die vorher im „nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet“ eingesetzt wurden. Andererseits brachte die Wende auch das Ende für die Interflug, sie wurde von der Treuhand liquidiert und wir wurden alle entlassen. Privat brachte es natürlich die große Reisefreiheit, die ich auch so viel wie möglich genutzt habe – von meiner Abfindung für die Entlassung habe ich Ende 1991 eine dreimonatige Reise durch Südamerika gemacht. Trotz aller negativen Folgen wie der Massenarbeitslosigkeit war der Mauerfall für mich persönlich einer der glücklichsten Momente meines Lebens.
Welche Rolle spielt Reisen für Sie heute?
Ich reise immer noch gern und viel. Mittlerweile versuche ich allerdings möglichst wenig zu fliegen – ich steige lieber auf die Bahn um, auch auf längeren Strecken wie nach Barcelona oder Budapest. Oder ich bin mit dem Schiff unterwegs – zum Beispiel auf dem Rhein.
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