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Weltoffenheit bleibt unverzichtbar
Urlaubsreisen in die Vereinigten Staaten zu verkaufen, erweist sich seit einigen Monaten als wenig vergnügliches Geschäft. Die unberechenbare Politik unter Präsident Donald Trump hat sowohl das Image der USA als Reiseziel als auch das Vertrauen in verlässliche Einreisebedingungen beeinträchtigt. Berichte über Zurückweisungen und Inhaftierungen bei der touristischen Einreise haben in Teilen der Branche Verunsicherung ausgelöst. Auch ein für deutsche Urlauber derzeit günstiger Dollarkurs ändert daran wenig. Bereits auf der ITB Berlin, nur wenige Monate nach Trumps zweitem Amtsantritt, schwankte die Stimmung unter deutschen USA-Veranstaltern zwischen zur Schau gestelltem Zweck-Optimismus und ersten Berichten über einbrechende Besucherzahlen.
Zudem geraten Unternehmen und Institutionen, die sich traditionell für Weltoffenheit, Diversität und Toleranz einsetzen, vermehrt unter öffentlichen Druck. Auch große Firmen, darunter der Unterhaltungskonzern Disney, sehen sich zunehmend kritischen politischen Debatten gegenüber – etwa im Zusammenhang mit Programmen und Förderungen marginalisierter Gruppen.
Kurswechsel bei Sponsoren und Vermarktern
In bestimmten Bundesstaaten, in denen politische Entscheidungsträger direkten Einfluss auf Budget und Kommunikationsstrategien nehmen, ist zu beobachten, dass Maßnahmen zur Förderung von Diversität teilweise zurückgefahren werden. Nachdem der Führungsposten von „Visit Florida“ vor einigen Monaten neu besetzt worden war, wurden Angebote für die LGBTQ-Szene von der Website der Organisation komplett getilgt. Die Tatsache, dass Florida einen internationalen Ruf als „gay friendly destination“ genießt und die Zielgruppe einen wichtigen Kundenmarkt darstellt, vermochte die Verantwortlichen nicht zu beeindrucken. Andere Unternehmen passen sich an. So hat sich die Biermarke Bud Light als Sponsor der mit drei Millionen Besuchern weltweit größten World Pride Parade in Washington vorerst von der Veranstaltung zurückgezogen.
Branchenexperten äußern vereinzelt die Sorge, dass diese Entwicklungen auch in anderen Ländern Nachahmung finden könnten- sei es aus politischen Gründen oder aus unternehmerischem Kalkül. Dies könnte langfristig Auswirkungen auf innerbetriebliche Diversitätsprogramme sowie das gesellschaftliche Engagement touristischer Anbieter haben. Für Stuart Greif, Executive Vice President, Forbes Travel Guide, ist die Zeit reif für einen Weckruf. Der Analyst vergleicht das Engagement für Diversität mit dem Kampf gegen den Klimawandel: „Bei den Themen Nachhaltigkeit und Vielfalt weht der Wind inzwischen stark in die Gegenrichtung, und dass, obwohl es sich dabei um für die Tourismusbranche lebenswichtige Bereiche handelt. Deshalb müssen wir das Engagement der Vergangenheit unbedingt fortsetzen. Der Klimawandel hört nicht auf, nur weil er politisch nicht mehr im Vordergrund steht. Und auch die touristische Bedeutung von Diversität wird nicht geringer, weil sich Teile der Politik davon distanzieren“, argumentiert Greif, der vor allem die Unternehmensspitzen in der Pflicht sieht: „Die Vorstände haben eine treuhänderische Verantwortung, eine vielfältige und integrative Kultur zu schaffen“.
Vielfalt als Voraussetzung für Unternehmenserfolg
Auch Jens Schadendorf, Ökonom und LGBTQ-Forscher, sieht die Firmenleitungen beim Generalthema „Diversity, Equity & Inclusion“ in der Verantwortung. Gerade unter dem Eindruck der Ereignisse in den USA könnten entsprechende Maßnahmen dazu beitragen, die betroffenen Gruppen zu stärken und zu unterstützen.
Allerdings sind nicht alle Marktbeobachter überzeugt, dass die Entwicklungen in den USA wie auch der Rechtstrend in vielen europäischen Ländern zu einer großflächigen Trendumkehr im Tourismus-Marketing führen werden. „Diversität ist seit langer Zeit gelebte Realität im Tourismus. Die Politik der US-Regierung wird daran langfristig wenig ändern“, glaubt Thomas Bömkes, Geschäftsführer der Consulting- und Marketingagentur Diversity Tourism in München. „Auch wenn Visit Florida das Marketing für die LGBTQ-Urlauber eingestellt hat – regionale Tourismusorganisationen in Florida an Orten wie Key West oder Tampa werben weiter offensiv um diese Zielgruppen, weil sie unverzichtbar für das Geschäft sind“, so der Berater. Gleiches gelte für die Diversität von Belegschaften in Unternehmen. Für Hotelketten, Airlines oder Reiseveranstalter sei Diversität kein „nice to have“, sondern eine wichtige Voraussetzung für den unternehmerischen Erfolg im weltweiten Wettbewerb.
„Sicher wird es Firmen geben, die das Thema unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen nicht mehr offensiv ins Schaufenster stellen. Wer das Thema Diversität aber nur aus Opportunismus vermarktet oder „Pink Washing“ betreibt, ist ohnehin nicht glaubwürdig“, argumentiert der Berater. Entwicklungen wie in Ungarn, wo die Orban-Regierung die Veranstaltung von Gay-Pride-Veranstaltungen komplett untersagt hat, seienpolitisch absolut inakzeptabel und für den LGBTQ-Tourismus in Ungarn nicht förderlich, hätten auf den LGBTQ-Tourismus in Europa aber keine großen Auswirkungen, so Bömkes. Entscheidender seien die Entwicklungen in anderen europäischen Märkten. Bei wichtigen LGBTQ-Destinationen wie etwa Spanien, Frankreich, Niederlande, Großbritannien oder Deutschland werde sich die Zielgruppenansprache nicht ändern. Für Metropolen wie London, Paris, Amsterdam, Berlin oder Barcelona seien Diversität, Weltoffenheit und die gezielte Ansprache von Minderheiten unverzichtbare Bestandteile der touristischen Selbstdarstellung.
Abseits der Metropolen ist die Lage allerdings weniger entspannt. In vielen kleineren deutschen Städten, insbesondere im Osten des Landes, stehen Pride-Veranstaltungen mittlerweile unter erhöhtem Polizeischutz. Mit Blick auf die in diesem Sommer stattfindenden Christopher Street Days warnen Veranstalter vor Gewalt aus dem rechtsextremen Spektrum und registrieren zunehmende Verunsicherung bei den Teilnehmenden. Auch steht zu befürchten, dass aus Sorge vor Anfeindungen immer mehr Menschen den Veranstaltungen fern bleiben.
Spanien setzt Maßstäbe bei Diversität und Barrierefreiheit
Wie wichtig die offensive Vermarktung von Weltoffenheit und Toleranz für das touristisches Geschäft sein kann, zeigt insbesondere das Beispiel Spanien. Das Land hat sich seit einigen Jahrzehnten und mit nachhaltigem Erfolg zu einer der LGBTQ-freundlichsten Destinationen der Welt entwickelt. Große Pride-Festivals in den Metropolen Barcelona und Madrid, Zielgruppen-Events an beliebten Urlaubsorten wie Ibiza und Gran Canaria, sowie sogar ein Gay-Ski-Festival in den Pyrenäen locken seit langem ein internationales Millionenpublikum auf die iberische Halbinsel.
Mit dem aktiven Bekenntnis zu Vielfalt und Offenheit gewinnen Spaniens Tourismus-Vermarkter nicht nur die Angehörigen der LGBTQ-Gemeinde, sondern auch andere Minderheiten – etwa Menschen mit körperlichen Behinderungen. „Spanien zählt zu den Destinationen, die sich im Tourismus sehr engagiert für Barrierefreiheit und andere behindertengerechte Verbesserungen einsetzen. Das Land hat hierfür bereits zahlreiche Auszeichnungen der Europäischen Union gewonnen“, registriert Gunta Anca, Vice President des European Disability Forum mit Sitz in Riga. Die Vertreterin von Menschen mit Behinderungen sieht bei diesem Thema in den meisten Ländern noch viele unbewältigte Aufgaben: Ein aktives Bekenntnis zu Diversität könne helfen auch für diese Minderheiten bessere Zugangsmöglichkeiten und Rechte zu verwirklichen. Eine behindertengerechte Infrastruktur in Urlaubsorten führe schließlich auch zu Synergieeffekten und größerer Attraktivität der Destinationen. „Barrierefreiheit ist ein Standard, von dem nicht nur Urlauber mit Behinderungen, sondern alle Menschen profitieren“, betont Anca.