Rezepte gegen Übernutzung im Tourismus
Viele Hotspots leiden unter Übernutzung. Wie Branchenakteure mit Daten, Regulierung und neuen Konzepten gegensteuern – und was das für die Zukunft des Tourismus bedeutet.
Die Übernutzung touristischer Destinationen und Ressourcen durch wachsende Besucherzahlen bleibt eine Entwicklung, die die Reisebranche auch in den kommenden Jahren begleiten wird. Der Einbruch des touristischen Reiseaufkommens in den Jahren der Corona-Krise und die allmähliche Erholung des Marktes ab 2022 haben dazu beigetragen, dass Thema für eine gewisse Zeit in den Hintergrund zu drängen. Seit sich Buchungs- und Besucherzahlen an den touristischen Hotspots diese Welt wieder dem Vor-Corona-Niveau nähern oder darüber hinaus gehen, sind die durch Übertourismus entstehenden Herausforderungen jedoch kaum mehr zu übersehen. Die Langzeitprognosen sind eindeutig: Die weltweite Zahl der Menschen, die verreisen wollen und sich dies auch leisten können, wächst stetig. Die Tourismusbranche ist gut beraten sich auf diese Entwicklung vorzubereiten. Auch auf dem ITB Berlin Kongress 2026 wird das Thema unter dem Leitmotto „Leading Tourism into Balance“ intensiv diskutiert.
Protestkundgebungen in Städten wie Amsterdam, Venedig oder Mailand zeigen, dass touristische Konzepte, die allein auf Mengenwachstum basieren, vielerorts an Grenzen stoßen und bei Teilen der lokalen Bevölkerung kaum noch Akzeptanz finden. Preissteigerungen, die Verknappung bezahlbaren Wohnraums sowie die massive Präsenz touristischer Besucher an zentralen öffentlichen Orten führen vielerorts dazu, dass Anwohner auf die Barrikaden gehen und gegenüber der kommunalen Politik nach alternativen Lösungen verlangen. Dass Probleme wie Inflation und Wohnraumverknappung nicht allein durch den Tourismus bedingt sind, sondern auch auf andere Faktoren zurückgehen, vermag den Unmut der Betroffenen selten zu bremsen: An hochfrequentierten Orten wie Venedig oder Barcelona wird der Tourismus mittlerweile als ein Fremdkörper wahrgenommen, der lokale Ressourcen übernutzt und die Lebensqualität der Anwohner beeinträchtigt.
Destinationen nicht allein lassen
Dass die Branche etwas unternehmen muss, steht längst außer Zweifel. „In der Vergangenheit wurde die Verantwortung für dieses Thema oft allein den Destinationen zugewiesen. Doch um Antworten zu finden, bedarf es Anstrengungen entlang der gesamten touristischen Wertschöpfungskette. Alle Beteiligten müssen mit an Bord genommen werden“, fordert Sven Liebert, Generalsekretär des Bundesverbandes der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW). Nach Ansicht des Verbandsvertreters haben nicht nur Destinationsmanager, sondern auch Reiseveranstalter und Vertriebsunternehmen ein originäres Interesse daran, dass Urlaubsregionen keine dauerhafte Überbeanspruchung erleben. Ansonsten drohe eine nachhaltige Imageschädigung. „Wenn die Bewohner der Destinationen nicht mehr auf Seiten des Tourismus stehen, wird es für die Branche schwierig, das Produktversprechen eines gelungenen Urlaubs noch einzulösen. Dann verliert der Tourismus nicht nur die Menschen in den Zielgebieten, sondern auch seine Kunden“, warnt Liebert.
Auch ein global agierender Anbieter wie die Vermietungsplattform Airbnb will bei der Bewältigung des Problems nicht abseitsstehen. Das US-Unternehmen versucht mittlerweile aktiv an der Regulierung plattformbasierter Kurzzeitvermietungen mitzuwirken und betrachtet sich als Kooperationspartner der von Übertourismus betroffenen Städte und Regionen. „Airbnb setzt gegenüber den Kommunen auf Transparenz. Beispielsweise stellen wir den Städten die von uns erhobenen Vermietungsdaten komplett und kostenfrei zur Verfügung, um die Bewertung des Marktgeschehens zu erleichtern“, erklärt Ellen Madeker, Head of Public Policy Dach, CEE Airbnb. Große Hoffnung setzt Madeker auf eine Rahmenvereinbarung mit der EU, die den Datenaustausch zwischen Plattformanbietern und Regierungen ab 2026 verbindlich regeln will, um die Suche nach gemeinsamen Lösungen zu erleichtern. Den vielfach gegen Airbnb erhobenen Vorwurf, die Kurzzeitvermietung von Privatwohnungen führe zu einer Verteuerung der Mieten, weist das Unternehmen zurück. Eine von Airbnb in Auftrag gegebene Studie des deutschen Fraunhofer-Instituts vermochte auf dem deutschen Wohnungsmarkt keinen direkten Zusammenhang zwischen Mietpreissteigerungen und Inseraten auf Airbnb zu beobachten. „Der Anteil der Airbnb-Unterkünfte am gesamten Wohnungsbestand ist dafür zu niedrig“, betont Madeker.
Spanien setzt auf Daten und Diversifizierung
Auch jenseits des Vermietungsgeschäfts werden Datenerhebung und Datenmanagement künftig eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum gehen soll, Massenansammlungen von Touristen zu vermeiden oder zumindest besser zu lenken. „Daten und Digitalisierung sind die entscheidenden Schlüssel um diese Probleme in den Griff zu bekommen“, betont Alvaro Blanco Volmer, Botschaftsrat und Direktor des staatlichen Tourismusinstituts Turespana. Angesichts umfangreicher Bürgerproteste in Urlaubs-Hotspots wie Barcelona und Palma de Mallorca steht die Tourismusbranche des Landes bei der Lenkung ihrer Besucherzahlen vor exemplarischen Aufgaben. Denn von den erwarteten rund 97 Millionen internationalen Besuchern des Jahres 2025 reist die überwältigende Mehrheit während der Hauptsaison zu den Küstenregionen des Mittelmeers, auf die Balearen sowie auf die Kanarischen Inseln. Vor diesem Hintergrund hat sich das Land zum Ziel gesetzt, ein nachhaltiges Tourismusziel zu fördern, das Spanien-Besucher verstärkt für andere Landesteile gewinnen will und dabei eher auf Qualität als auf Quantität setzt. Unter dem Marketing-Claim „Think you know Spain? Think again“ wurde eine Kampagne ins Leben gerufen, mit der weniger bekannte Städte und Gegenden des Landes vermehrt in Szene gesetzt werden sollen, darunter nördliche Regionen wie Galizien, Asturien oder die Pyrenäen.
Auch die zeitliche Entzerrung der touristischen Nachfrage durch zusätzliche Urlaubsangebote während der Nebensaison gilt vielerorts als probates Mittel um Besucherbewegungen besser zu steuern. Die Aufwertung von Reiseerlebnissen außerhalb der Hauptsaison ist allerdings kein Selbstläufer, sondern erfordert in den Zielgebieten umfangreiche Analysen und Vorausplanungen. „Die Ausweitung der Saison führt zu neuen Anforderungen an die vorhandene Infrastruktur und wirft Fragen nach der Profitabilität auf. Vor allem aber muss es auch in der Nebensaison darum gehen, die Qualität des Urlaubsangebotes zu sichern“, betont BTW-Generalsekretär Liebert.
Für ein stark frequentiertes Reiseziel wie Spanien bedeutet die zeitliche und räumliche Steuerung der Urlaubsnachfrage eine Mammutaufgabe: „Wir sind uns bewusst, dass diese Ziele nicht durch eine einzelne Maßnahme, sondern nur im Rahmen einer umfangreichen Strategie verwirklicht werden können. Deshalb bedarf es zahlreicher Daten sowie eines breiten Konsenses aller Beteiligten auf der nationalen, regionalen und lokalen Ebene“, betont Blanco Volmer. Spaniens hat vor diesem Hintergrund einen nationalen Entwicklungsplan ins Leben gerufen, der auf Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Kommunikation setzt. Zentraler Bestandteil der Strategie ist das „Smart Tourism Destination Network“, auf dessen Basis Bewegungsdaten der touristischen Besucher in Echtzeit gemessen und analysiert werden können. Laut Blanco Volmer haben sich diesem Netzwerk mittlerweile bereits 680 Destinationen angeschlossen. Darüber hinaus setzt das landesweite Projekt auch auf eine Intensivierung des Dialogs mit den Betroffenen vor Ort. Im Rahmen von Kommunikations- und Begegnungsforen soll unter Einbezug aller Beteiligten diskutiert werden, wie nachhaltiger Tourismus in Spanien künftig gestaltet werden kann. „Dazu müssen wir genauer verstehen, wie der Tourismus vor Ort und in den lokalen Gemeinden und Nachbarschaften erlebt und wahrgenommen wird“, betont der Touristik-Experte.
Unvermeidliche Kurskorrekturen
Allerdings spricht vieles dafür nicht nur die betroffenen Anwohner, sondern auch die Urlaubsgäste in derartige Projekte einzubeziehen. Für die Berliner Nachhaltigkeits- und Transformationsforscherin Maja Göpel erfordert nachhaltiger Tourismus nicht nur einen Einstellungswandel in den Destinationen, sondern auch auf Seiten der Gäste: „Die Vorstellung, was eine gute touristische Erfahrung ist, gilt es komplett zu überdenken. Wir sollten zu der Idee zurückkehren, dass wir an einen anderen Ort reisen wollen, um dort respektvoll zu erkunden, wie es dort tatsächlich aussieht. Die Erwartung an ein allzeit sorgenfreies, nahtloses und künstliches Urlaubserlebnis steht dem entgegen und hat mit Nachhaltigkeit wenig zu tun“. Deutliche Kurskorrekturen sind nach Ansicht von Göpel vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Klimawandels ohnehin unausweichlich: „Wir müssen erkennen, dass die Art und Weise, wie wir den Tourismus betreiben, die Orte, an die wir gerne reisen, erheblich verändern. Wenn wir die übermäßige Konsumhaltung bei der Organisation des Tourismus nicht reduzieren, werden diese Orte in zehn bis zwanzig Jahren völlig anders aussehen“, warnt die Wissenschaftlerin.
Im aktuellen ITB Berlin- Videocast “Revisiting Overtourism: Toward a More Balanced Future” diskutierten Branchenexpert:innen, wie Tourismus künftig nachhaltiger, ausgewogener und für lokale Gemeinschaften akzeptabler gestaltet werden kann. Moderatorin Charlotte Lamp-Davies (A Bright Approach) sprach mit Dr. Ellen Madeker (Airbnb), Sven Liebert (BTW) und Álvaro Blanco Volmer (Turespaña) über Strategien für verantwortungsvolles Reisen, neue Wachstumsmodelle und Wege zu mehr lokaler Akzeptanz.
